Story

Waidfrausheil

Immer mehr Frauen gehen auf die Jagd – auch Esther. Die angehende Jägerin zeigt ihre vielseitigen Aufgaben und dass diese weit über das Erlegen des Tieres hinausgehen – von der Rehkitzrettung über die Waldpflege bis zur Einrichtung von Wildwarnreflektoren.


Text: Daniela Barmettler / Bild: Christoph Arnet
Erschienen in der Luga-Zytig, 21. April 2022


Es ist ein schöner März-Tag, der Frühling kündigt sich an. Ich geniesse die Aussicht von einem Hochsitz im Jagdrevier des Kantons Luzern. Neben mir sitzt Esther. 29 Jahre alt, angehende Jägerin. Sie blättert eifrig in ihrem Buch «Jagen in der Schweiz: Auf dem Weg zur Jagdprüfung», um mir zu zeigen, welche Vogelarten sie kennen muss. Ich wundere mich. Esther wird doch Jägerin und nicht Ornithologin? Sie klärt mich auf: «Bei der Jagd geht es um weit mehr als nur das Wild und das Schiessen. Wir müssen ein grosses Wissen über ökologische Zusammenhänge haben. Zudem müssen wir Gesetze und Jagdprozesse, das Verwerten des Wildbrets sowie die Ausbildung und den Einsatz von Jagdhunden kennen.» Jetzt erstaunt es mich auch nicht, dass das Lehrmittel auf Esthers Knien 340 Seiten umfasst. 

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«Bei der Jagd geht es um weit mehr als nur das Wild und das
Schiessen.»

Esther

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Intensive Ausbildung

Im Frühling 2021 hat Esther mit der Jagdausbildung begonnen. Seither drückt sie die Schulbank oder ist mit ihren Jagdkolleginnen und -kollegen im Revier unterwegs. Die Ausbildungsmodule sind thematisch gegliedert – von Wildtiermanagement über Jagdgeschichte bis zu Optik. «Nebst einem 100-%-Job die Jagdausbildung zu absolvieren, ist schon sehr intensiv. Und gerade vor den Prüfungen bleibt kaum Zeit für anderes», sagt Esther. Ich merke schnell, dass die künftige Jägerin aber schon gut vorbereitet ist. Mit viel Leidenschaft und Enthusiasmus spricht sie über ihre Tätigkeit und beantwortet all meine Fragen detailliert. In diesen Tagen absolviert sie ihre theoretische und praktische Abschlussprüfung. 

Der Natur etwas zurückgeben

Esther ist auf einem Bauernhof im Kanton Luzern aufgewachsen. Jede freie Minute verbrachte sie in der Natur zusammen mit ihren Tieren. «Ich bin eine richtige Tierliebhaberin – das Wohl von Tieren liegt mir sehr am Herzen», sagt Esther. Als Kind sei sie mit der Jagd kaum in Berührung gekommen. Erst vor einigen Jahren habe sie ein Bekannter gefragt, ob sie nicht auch die Ausbildung machen möchte. «Ich durfte dann die Jägerinnen und Jäger unseres Reviers ein Jahr lang begleiten», erinnert sie sich. Und das habe ihr «den Ärmel reingezogen». Mit Begeisterung erzählt sie: «Die vielseitige Arbeit, das umfassende Fachwissen und die Teamarbeit haben mich sofort fasziniert. Seither durfte ich vieles lernen und bin mit anderen Augen im Wald unterwegs.» Als Jägerin möchte sie der Natur etwas zurückgeben und den so wichtigen Kreislauf in Ordnung halten. 

«Hegen und Pflegen» sind dabei die Stichworte. «Es geht nicht nur darum, Beute zu machen. Wir beobachten, zählen und kontrollieren die Populationen, setzen Bäume und unterstützen die Förster beim Aufforsten. Auch dürfen wir Rehkitze aus dem Gras retten oder Wildwarnreflektoren anbringen», zählt Esther ihre Aufgaben auf. Viele Leute würden die Jagd nur mit Schiessen in Verbindung bringen. Das sei aber weit gefehlt: «Die Waffe ist ein Arbeitsgerät. Es gehört dazu, aber man prahlt damit nicht», sagt Esther mit Nachdruck. Jedes Jahr müsse sie eine anspruchsvolle Schiessprüfung ablegen. Sowieso sei das Schiessen auf der Jagd alles andere als einfach, erklärt Esther: «Wir müssen innerhalb von Sekunden sechs Sicherheitsfragen mit Ja beantworten können. Ansonsten darf der Schuss nicht abgegeben werden.» Nebst diesen Jagdregeln komme aber noch das Gefühl dazu: «Es muss auch für mich stimmen. Schon dreimal habe ich auf einen Schuss verzichtet, weil es für mich nicht richtig war.» 

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«Ich bin eine richtige Tierliebhaberin – das Wohl von Tieren liegt mir sehr am Herzen.»

Esther

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Nicht zimperlich sein

Im Gespräch mit Esther spüre ich, dass ihr der Respekt vor dem Tier sehr wichtig ist. Sie will eine Jägerin werden, die mit Bedacht und im Einklang mit der Natur handelt. Dazu gehört für Esther auch, dass sie das geschossene Wild selbst ausnehmen kann. Als Jägerin müsse man schon eine Portion an Widerstandsfähigkeit mitbringen. Man sei bei jedem Wetter draussen unterwegs, oft stundenlang und in steilem Gelände. Vielleicht ist deshalb die Jagd immer noch eine Männerdomäne. Aber die Frauen holen auf. In der Klasse von Esther sind bereits 10 Prozent Frauen dabei. Und das sei auch gut so, sagt Esther: «Leider haben viele immer noch ein falsches Bild von der Jagd. Diesem möchte ich entgegenwirken.» 

Verweilen, hören und beobachten

Auf dem Hochsitz ist es inzwischen schattig geworden. «Wenn ich so in die Natur schaue, kann ich komplett abschalten. Wir sollten alle mehr in den Wald gehen. Aber nicht einfach durch den Wald laufen und die Tiere stören, sondern verweilen, hören und beobachten», sagt Esther gedankenversunken. Dann machen wir uns auf den Weg zurück. Worauf sie sich freue, möchte ich zum Abschluss wissen. «Dass ich endlich richtig mit dabei sein kann», antwortet sie. Ein Jagdziel will sie sich aber keines setzen: «Ich nehme es so, wie es kommt, und freue mich, dass ich meinen Teil zum Naturschutz beitragen darf.» 


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An der Luga

Der Jagdlehrgang, der Drohneneinsatz zur Rehkitzrettung, das «Wild, Wald, Wissen»-Lernmobil und vieles mehr – die Sonderschau «Treffpunkt Jagd» hat einiges zu bieten.

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